Donnerstag, 18. September 2014

Bothel: signifikant und ungeklärt



Wieder ein neues Leukämiecluster?



Das signifikant erhöhte Krebsrisiko in der Samtgemeinde Bothel (Kreis Rotenburg)



Im niedersächsischen Erdgasfördergebiet im Kreis Rotenburg/ Wümme haben viele Einwohner gesundheitliche Belastungen wahrgenommen, die sie mit verschiedenen Methoden der dortigen Erdgasförderung in Verbindung gebracht haben. Aufgrund einer Unterschriftensammlung, in der eine Gesundheitsuntersuchung gefordert wurde, hat das niedersächsische Krebsregister (EPN) eine Auswertung der gemeldeten Krebsneuerkrankungen für die Samtgemeinde Bothel (Kreis Rotenburg/ Wümme) vorgenommen. 

Dabei konnten sich an der Festlegung des Untersuchungsgebietes und der ausgewerteten Formen von Krebserkrankungen neben den medizinischen Fachleuten der Behörden auch Mitglieder von Bürgerinitiativen beteiligen. 

Die Ergebnisse der Auswertung hat das EPN im September 2014 vorlegt. Dabei ergab sich eine signifikante Erhöhung der Erkrankungen an Leukämien und Lymphomen, wobei dieser Befund allerdings nur für Männer zutrifft.

Während die Mediziner eine weitere Untersuchung planen, um dieses teilweise rätselhafte Ergebnis zu erklären, fordern einige Politiker bereits aufgrund der vorliegenden Resultate einen Stopp der möglicherweise für das erhöhte Krebsrisiko verantwortliche Verfahren der Erdgasförderung. 



                     Gutachten des EKN




Powerfrauen und viele Anti-Fracking-Bürgerinitiativen


In den Orten Söhlingen und Hemslingen, die heute zusammengefasst als Gemeinde Hemslingen zur Samtgemeinde Bothel im Kreis Rotenburg/ Wümme gehören, befindet sich eine der größten deutschen Erdgaslagerstätten.

Daher wurden in diesem auch für niedersächsische Verhältnissen dünn besiedelten Raum schon frühzeitig mögliche gesundheitliche Auswirkungen von Fracking diskutiert, aber auch andere Gefahren, die mit einer noch weitgehend klassischen Erdgasförderung verbunden sein können. Zu nennen sind hier das Verpressen, Abblasen und Abfackeln.

Das hat fast zwangsläufig zur Gründung von Bürgerinitiativen besorgter Einwohner in den betroffenen Gebieten Niedersachsens geführt. So entstand bereits am 24.8.2011 in Bötersen die BürgerInitiative FRACK-loses Gasbohren im Landkreis Rotenburg. Auslöser war ein neuer 59-Meter-hoher Bohrturm mit einem Schild an dieser Bohrstelle Z 11, das als Hinweis auf ein geplantes Fracking verstanden wurde. 

Eine ähnlich ausgerichtete Bürgerinitiative, die sich “Wittorfer für Umwelt und Gesundheit” (WUG) nennt, wurde 2013 in Wittorf gegründet, einem Dorf von 1.200 Einwohnern, das direkt an der Verpressstelle für Lagerstättenwasser in Grapenmühlen liegt.

Vor allem diese Verpressbohrung Wittorf Z1 und die Bohrstelle Z 5 in Söhlingen sorgten damals für Unruhe unter den Anwohnern. Mit den Verpressbohrungen verklappt die  Gas- und Ölindustrie ihre giftigen Abwässer in den Untergrund, wodurch möglicherweise Gifte in die Luft freigesetzt oder das Grundwasser belastet wird. 

In Söhlingen klagten die Anwohner konkret über Atemnot, blutende Poren und gereizte Augen. Hierfür wurde eine Salzsäurewolke verantwortlich gemacht, die beim Verbrennen von überschüssigem Gas entstanden sein soll und die in der Umgebung Menschen verletzte und Pflanzen schädigte. Zudem wurden an der Erdgasförderstelle Söhlingen Ost Z1 erhöhte Quecksilberwerte gemessen.

Auf diese gesundheitlichen Belastungen, die möglicherweise mit den Abbaumethoden von ExxonMobil zusammenhingen, reagierten die Bürgerinitiativen in den betroffenen ländlichen Gemeinden mit kleineren Informationsveranstaltungen und Protestdemonstrationen.
  
Eine stärker fokussierte Richtung bekam die Kritik an der Erdgasförderung durch ExonMobil, als zwei Frauen, Silke Döbel aus dem Hemslinger Ortsteil Söhlingen und  Kathrin Otte aus dem 50 km entfernten Amelinghausen (Kreis Lüneburg), mit ihren Organisationen “Bürgerinitiative für Gesundheit” (BIG) und GEmeinnütziges Netzwerk für UmweltKranke (Genuk) ein spezielles Projekt in Angriff nahmen.

Beide konzentrierten sich auf die immer wieder berichteten und erlebten ungewöhnlichen Häufungen von Erkrankungen und organisierten eine Unterschriftenaktion, um eine medizinische Untersuchung möglicher gesundheitlicher Folgen der Erdgasförderstellen zu erreichen.

Dabei lag Silke Döbel, die nach ihren Worten „mit den Erdgasförderstellen quasi aufgewachsen“ ist, Panikmache fern, aber sie machte sich dennoch "Riesensorgen". Deshalb  ergriff sie mit der Unterschriftenaktion die Initiative. Schließlich war sie davon überzeugt, dass Umwelteinflüsse in diesem Raum die Menschen krank machen. Daraus ergab sich ihre klare Forderung. Die Umwelt, also das Wasser, die Luft und der Boden, sollten auf krebserregende Stoffe getestet werden. Das sollte allerdings keinesfalls bedeuten, das andere für die Gesundheit relevante Stoffe vernachlässigt werden.

Mit dieser Unterschriftenaktion wurden die Hinweise der bestehenden Bürgerinitiativen GENUK e. V., “Bürgerinitiative für Gesundheit” (BIG), “BI Söhlingen” und “Wittorfer für Umwelt und Gesundheit” (WUG) auf das “gefühlte” Problem abnorm vieler Krebsfälle in ihren Dörfern kanalisiert, und mögliche Gründe für die verbreitete Besorgnis ließen sich als Auftrag zur Auswertung von Krebsregisterdaten von den Behörden wissenschaftlich untersuchen.


Mit Unterschriften zum Erfolg

Die Sammlung von rund 700 Unterschriften in kleinen Orten wie Hemslingen und Wittof mit nur ca. 1.200 Einwohnern blieb beim Landkreis nicht ohne Wirkung. Für den Landrat Hermann Luttmann (CDU) waren sie Anlass genug, um die gefühlte hohe Krebsrate überprüfen zu lassen. Diese Sonderauswertung erfolgte auf Anfrage des Landkreises Rotenburg vom 13.06.2014 durch das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (EKN).  

Das war ein erster großer Erfolg für die Bürgerinitiativen, die auf die Gesundheitsgefahren durch die Abbauarbeiten im Erdgasfeld Söhlingen hingewiesen und damit die Untersuchung veranlasst hatten. (Krüger)

Dabei hatte sich auch der GENUK e.V. eingeschaltet und zeitlich parallel in einem Brief an die niedersächsischen Ministerien für Umwelt, Gesundheit 
und Wirtschaft um eine ressortübergreifende Gesundheitsuntersuchung der Bevölkerung gebeten. 
 

Kooperation statt Konfrontation

Abweichend von anderen Bundesländern wie etwa Bremen wurden die Rahmenbedingungen der Auswertung des Krebsregisters von den Bürgerinitiativen und den Fachleuten der Behörden gemeinsam festgelegt, wie es am Anfang der abschließenden Publikation des EPN erläutert wird. 

Danach waren der Hintergrund für die Studie des Krebsregisters eine Anfrage des Kreises und eine Unterschriftensammlung einer Bürgerinitiative im Landkreis Rotenburg zu einer vermuteten Krebshäufung in der Bevölkerung, ausgelöst durch die Erdgasförderung in Söhlingen (einem Ortsteil der Gemeinde Hemslingen, die Mitgliedsgemeinde der Samtgemeinde Bothel ist). (EPN, S. 1)

Eine Konkretisierung dieser Aufgabe erfolgte durch eine Arbeitsgruppe, die aus Mitgliedern mehrerer Bürgerinitiativen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gesundheitsamtes des Landkreises, des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes und der Vertrauensstelle des EKN bestand. Sie haben "gemeinsam", wie es ausdrücklich heißt, die konkrete Anfrage erarbeitet, in der "die zu betrachtenden Diagnosegruppen, der Untersuchungszeitraum und das Untersuchungsgebiet festgelegt" sind. (S. 1)



Die Studie des EPN und ihre Ergebnisse


Damit hatte das EPN relativ präzise Vorgaben für seine Arbeit, in die sowohl die Wünsche und Interessen der besorgten Bürger als auch die Fachkompetenzen der Gesundheitsspezialisten  aus den Behörden eingeflossen waren.

Ausgewertet wurden die Daten für die Samtgemeinde Bothel mit knapp 9.000 Einwohnern, während der ehemalige Regierungsbezirk Lüneburg, in dem ca. 1,7 Mio. Einwohner leben, als Vergleichsregion diente. Das verwendete standardisierte Inzidenz-Verhältnis SIR bezieht sich daher auf diese Region, in der auch an anderen Stellen Erdgas gefördert wird. (S. 4)

Die Vollständigkeit der Daten, die für die Berechnung der Kennziffern von erheblicher Bedeutung ist, wird dabei sehr positiv eingeschätzt, da sie bei 95% aller tatsächlichen Fälle liegen soll. Kleinere Abstriche müssen nur für das letzte betrachtete Zeitintervall 2010-2 erfolgen, da die Meldungen beim Krebsregister häufig zeitverzögert eintreffen. Aber auch hier wird von einer 88%-tigen Erfassung der tatsächlichen Erkrankungen ausgegangen.

Zur Beantwortung der zentralen Fragestellung „Werden in der Samtgemeinde mehr Krebserkrankungen beobachtet als zu erwarten sind?“ haben die Mitarbeiter des Krebsregisters zwölf Diagnosegruppen untersucht, davon drei für Frauen und Männer getrennt. Wie die folgende Ergebnistabelle zeigt, wurden damit insgesamt 15 Untersuchungsgruppen betrachtet.(S. 7)

Auch wenn die Auswertung sich auf die einzelnen Formen von Krebserkrankungen oder Lokalisationen konzentrierte, wurde ergänzent das Krebsrisiko in Bothel insgesamt bestimmt. Danach wurden in den Diagnosejahren 2003 - 2012 in der Samtgemeinde Bothel 533 Fälle gemeldet, während nur 494,0 zu erwarteten gewesen wären. Das bedeutet ein erhöhtes Risiko gegenüber der Vergleichsregion von 8% (SIR 1,08). Dabei besteht ein deutlicher geschlechtsspezifischer Unterschied, denn während das Krebsrisiko bei Männern um 13 % über dem der Vergleichsregion liegt, sind es bei den Frauen nur 2 %. (S. 8)


Krebsneuerkrankungen zwischen 2003-2012 in der Gesamtgemeinde Bothel

Krebslokalisation
ICD-10-Code
Geschlecht
Gemeldete Fälle
SIR
Rachen und Mund
C00-C14
m und w
6
0,49
Verdauungsorgane außer Leber
C15-C26 (o. C22)
m
66
1,08
Verdauungsorgane außer Leber
C15-C26 (o. C22)
w
52
1,05
Leber
C22
m und w
2
0,38
Kehlkopf, Lunge
C32-C34
m
43
1,10
Kehlkopf, Lunge
C32-C34
w
10
0,63
Knochen, Haut, Weichteilgewebe
C40-C49 (o. C44)
m und w
32
1,16
Brustdrüse
C50
w
85
1,13
weibliche Genitalorgane
C51-C58
w
28
0,97
Prostata, Hoden
C61-C62
m
95
1,15
Niere, Harnorgane
C64-C68
m und w
29
0,92
Hirntumoren
C70-C72
m und w
7
1,02
Endokrine Drüsen
C73-C75
m und w
9
2,02
Leukämien und Lymphome
C81-C96
m
41
1,93
Leukämien und Lymphome
C81-C96
w
15
0,89
EKN, S. 9. 


Trotz der generell üblichen Streuung der Abweichungen zwischen tatsächlichen und erwarteten Erkrankungen, wie sie bei kleinen Fallzahlen auftreten, fallen die Extremwerte für "endrokrine Drüsen" und "Leukämien und Lymphome" auf.

Da bösartige Neubildungen endokriner Drüsen und verwandter Strukturen relativ selten sind, haben sich die Autoren vom EPN auf die "Leukämien und Lymphome" konzentriert. Dabei ist der Unterschied der Werte von Männern und Frauen extrem auffällig, denn nur für Männer wurde ein gegenüber dem Regierungsbezirk Lüneburg signifikant erhöhtes Risiko nachgewiesen. 

Die genaue Bezeichnung dieser relevanten Gruppe von Lokalisationen würde sprachlich wenig griffig "Krebserkrankungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes" (ICD-10 / C81-C96) lauten, weshalb sogar die Fachleute in ihrem Ergebnisbericht verkürzt die Bezeichnung "Leukämien und Lymphome" verwenden.

Während der hohe SIR-Wert von 1,93 gerade für Leukämien und Lymphome nicht ganz unerwartet ist, da er wie auch in drei Bremer Studien mit Emissionen von Benzol und anderen Kohlenwasserstoffen in Verbindung gebracht wird, erscheint der geschlechtsspezifische Unterschied rätselhaft, zumal er in den Untersuchungen im Bericht des Bremer Tanklagers Farge nicht angesprochen wurde.

Dieser unerklärliche Befund hat daher zu weiteren Detailuntersuchungen durch das Krebsregister geführt, soweit es anhand der vorhandenen Daten möglich war.

Als erster Schritt erfolgte dabei die Differenzierung der vor allem betroffenen Krebslokalisationen. Dabei stellte sich heraus, dass es sich, wie die folgende Tabelle ausweist, weitgehend um Multiple Myelom (MM) und Non-Hodgin-Lymphome (NHL) handelt, auf die praktisch das gesamte erhöhe Krebsrisiko zurückzuführen ist. Dabei ist die Zahl der gemeldeten Fälle von NHL zwar höher als die von MM, aber die Häufigkeit der Abweichungen vom Durchschnitt ist bei MM größer. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass es sich um 16 bzw. 12 Neuerkrankungen insgesamt handelt; man also die Zahlen nicht beliebig stark belasten darf, da sonst Zufälle leicht zu Über- oder gar Fehlinterpretationen führen können.

Für die Krebsforscher ist es allerdings trotz dieser geringen Fallzahlen "wissenschaftlich unumstößlich", dass bei Männern eine doppelt so hohe Rate an Erkrankungen an Non-Hodgkin-Lymphomen und eine Vervierfachung des Multiplen Myeloms in der Samtgemeinde Bothel festgestellt, als erwartet wurde." (Vorstellung)

Neuerkrankungen an Leukämien und Lymphomen bei Männern zwischen 2003 und 2014 in Bothel

Krebslokalisation
ICD-10-Code
Gemeldete Fälle
Abweichung von der erwarteten Fallzahl
Multiples Myelom
C90
12
8,5
Non-Hodgkin-Lymphome
C82 - C85
16
7,2
Leukämien
C91 - C95
11
3,6
Hodgkin-Lymphome
C81
2
0,6
Bösartige immunprolif. Krankheiten
C88
0
-0,1
Sonstige Erkrankungen des lymphat., blutbild. Gewebes
C96
0
-0,1
Insgesamt
C81-C96
41
19,7
EKN, S.11


Neben dieser Differenzierung nach Lokalisationen hat das EKN Oldenburg noch eine Aufgliederung der 41 Neuerkrankungen nach dem Zeitraum, in dem sie gemeldet wurden, und nach dem Alter der Erkrankten vorgenommen. 

Bei der Auswertung für verschiedene Zeiträume innerhalb des berichteten Zeitintervalls von zehn Jahren erkennnen die Forscher wegen der geringen Fallzahlen keinen "einheitlichen Anstieg oder Rückgang der beobachteten Fallzahlen über die Zeit". Allerdings liegt für die Jahre 2007-8 eine Häufung von 11 Fällen gegenüber von nur 4 Fällen im letzten Zeitraum 2011-2 vor. (S.11) 

Bei der Detailauswertung nach dem Alter fällt auf, dass neben der üblichen krankheitsspezifischen Konzentration auf die Altersgruppe der 60- bis 74-jährigen mit 26 der insgesamt 41 gemeldeten Fälle, in allen Altersgruppen das Krebsrisiko in Bothel über dem im Regierungsbezirk Lüneburg liegt. Das gilt nicht nur für Männer im erwerbsfähigen Alter, sondern von der Tendenz her auch für Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 14 Jahren. (S.12)

Zusammenfassend stellen daher die Autoren des Ergebnisberichts fest, dass nur bei Männern erhöhte Erkrankungsraten bei Leukämien und Lymphomen "auffällig" sind, während bei Frauen sogar etwas weniger Fälle beobachtet wurden, als zu erwarten waren. Dies ist für die Forscher möglicherweise ein Hinweis darauf, dass berufliche Expositionen eine Rolle spielen könnten. 

Eine wünschenswerte weitergehende Auswertung der Daten für Leukämien und Lymphome, die dem Krebsregister vorliegen, ist jedoch praktisch nicht möglich, da 34% dieser Fällen ausschließlich auf Pathologenmeldungen beruhen, für die im EKN wegen der alten Fassung des Gesetzes über das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen keine dechiffrierbaren Personendaten für eine Kontaktaufnahme vorliegen.

Man will daher prüfen, ob und wie Folgeuntersuchungen die erstmaligen Auswertungen des EKN sinnvoll ergänzen können, indem "nähere Informationen zu möglichen arbeits-, umweltbezogenen oder auch individuellen Risikofaktoren der Erkrankten" durch eine spezielle Befragung einbezogen werden. (S. 14)

Damit gelangten die Krebsforscher zu Ergebnissen, die noch eine schwierige Aufklärung der Hintergründe erfordern. Es ist so mit der Lokalpresse zu fragen: Warum betrifft es nur Männer? Welche Stoffe können eine derartige Auffälligkeit verursachen? Kommt Benzol als möglicher Auslöser in Betracht? Wie sind die Männer möglicherweise in Kontakt mit solchen Stoffen gekommen? Warum betrifft es Kinder in diesem jungen Alter?

Erste Schlussfolgerungen aus dem Ergebnis



Auch wenn die aktuelle Fracking-Diskussion nicht ohne Einfluss auf den geschärften Blick für ein möglicherweise erhöhtes Krebsrisiko im Erdgasfördergebiet Söhlingen und in seiner näheren und weiteren Umgebung war, kann dieses Förderverfahren keine Erklärung liefern. Schließlich wird es offiziell gar nicht eingesetzt und auch von den Bürgerinitiativen vermutete Vorstufen höchstens erst in der jüngsten Vergangenheit, sodass sie wegen der langen Latenzzeiten bei Krebserkrankungen generell keine Auswirkungen besitzen können.

Die einfache Formel "Fracking gleich Krebs", wie sie manche Medien zumindest andeuten, ist also keine seriöse Erklärung. Ohnehin sind signifikant erhöhte Krebserkrankungen in einer Region zwar ein Hinweis auf eine Verursachung durch Expositionen mit karzinogenen Stoffen in derselben Region, aber kein zwingender Beweis. Es bleibt immer noch die Möglichkeit, dass auch andere Faktoren, die unberücksichtigt geblieben sind, die wahren Ursachen sind.

Im konkreten Fall wird eine kausale Verbindung zwischen der Erdgasförderung und dem erhöhten Krebsrisiko für Benzol-affine Lokalisationen besonders schwierig, da sie offenbar nur für Männer gilt. Das könnte mit einem geschlechtsspezifischen Berufsleben zusammenhängen, nur sprechen die Zahlen für die allerdings geringen Fallzahlen bei den Kindern und Jugendlichen dagegen. 

In den offiziellen Stellungnahmen sind die Behörden bei dieser ungeklärten Lage daher zurückhaltend und warnen davor, aus einer statistischen Analyse schon auf Kausalzusammenhänge mit der Erdgasförderung zu schließen. Allerdings wird dieser Zusammenhang auch vom Leiter des Rotenburger Gesundheitsamtes nicht ausgeschlossen, für den "vieles diskutiert" wird, wobei "auch auch Substanzen im Gespräch" sind, "die beim Fracking und der Erdgasförderung eingesetzt werden.“ (Krüger)

Eine Hypothese kommt dabei vom gemeinnützigen Netzwerk für Umweltkranke, wo man es für 
möglich hält, "dass krebserregendes Benzol sich bei der Erdgasförderung mit Luft oder Wasser vermischt hat."

Deshalb fordert die stellvertretende Vorsitzende des Netzwerks, die sich schon früher in Bothel engagiert hat, eine umfangreiche Untersuchung von Luft, Wasser, Pflanzen und Böden in den Erdgasfördergebieten. Dabei wird vor allem auf die gemessenen erhöhten Benzol-, aber auch Quecksilberwerte im Förderfeld Söhlingen verwiesen.


Die öffentliche Ergebnisdiskussion


Am Montag nach der Veröffentlichung der Studie des Krebsregisters, also am 159.2014, hatte der Landkreis Rotenburg zu einer Diskussionsveranstaltung in die Aula des Rotenburger Ratsgymnasiums eingeladen. Dort versammelten sich weniger die Bürger aus dem betroffenen ländlichen Raum, sonder rund 100 Zuhörer, unter denen sich vor allem viele Bürgermeister aus der Region und Vertreter von Bürgerinitiativen befanden. Ihnen eröffnete der Landrat gleich zu Beginn, was sie aus dem Munde der Fachleute zu erwarten hatten: „Sie werden mehr Fragen mit nach Hause nehmen als es bislang Antworten gibt.“ (Krüger)

Auch wenn es keine eindeutig nachgewiesenen Ursachen und daher sicheren Problemlösungen gab, konnte das Rotenburger Gesundheitsamt immerhin einen Weg vorstellen, auf dem man zu stichhaltigeren Erklärungen gelangen will. 
Da die Konzentration der signifikanten Krebserkrankungen nur bei Männern auftritt, will man der "durchaus plausiblen Hypothese" von besonderen "beruflichen Risiken" nachgehen. Daher soll in den kommenden Wochen versucht werden, die anonymisierten Daten Betroffener durch freiwillige Angaben genauer zu erfassen.  

Für die Vertreter der Bürgerinitiativen waren die Ergebnisse bereits jetzt schon eindeutiger. Das galt auch für Silke Döbel, die als Vertreterin der lokalen „Bürgerinitiative für Gesundheit“ die wichtigste Initiatorin der Sonderauswertung war. Deren Resultate sah sie durch neue persönliche Erfahrungen bestätigt. So konnte sie berichteten, dass sich seit Bekanntwerden der Zahlen immer mehr betroffene Menschen bei ihr meldeten – darunter auch Ex-Mitarbeiter der Erdgasindustrie. Auch waren für sie die Zahlen des Krebsregisters längst nicht vollständig. So müssten zusätzlich die Zusammenhänge mit weiteren Krankheitsbildern untersucht werden.  

Ähnliche Schlussfolgerungen ohne weitere Untersuchungen zogen auch der
Vorsitzende des Naturschutzbundes in Niedersachsen und Reinhard Grindel, der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Rotenburg I – Heidekreis, zu dem die Samtgemeinde Bothel gehört. Sie sprachen sich aufgrund der veröffentlichten Krebsdaten für ein Verbot von „Fracking, egal ob mit oder ohne Chemikalien“ sowie „für ein generelles Verbot der Verpressung von giftigem Lagerstättenwasser“ aus. Für sie sind die Technologien schlichtweg zu wenig erforscht und daher die Folgeschäden nicht absehbar. Der Bundestagsabgeordnete kommt deshalb zu der Forderung: „Eine Verpressung wie in Wittorf ist völlig unverantwortlich. Das müssen wir gesetzlich verbieten.“

Vorsichtiger ist verständlicherweise die Gegenseite, also der Konzern ExxonMobil, um dessen Fördertechnologie es vorrangig geht. Er kündigte an, die Ergebnisse „mit ärztlicher Unterstützung auswerten“ zu wollen, was aber noch einige Zeit erfordere. (Krüger)

Es sieht hier also entweder nach einer politischen Lösung oder einem langwierigen gerichtsfesten wissenschaftlichen Nachweis aus, der einen Zusammenhang zwischen den eingesetzten Fördertechnologien und dem erhöhten Risiko einer Neuerkrankung an Leukämien und Lymphomen in der Samtgemeinde Bothel erbringt.


Quellen:

bn, Krebs durch Erdgasförderung? Erhöhte Zahl an Erkrankungen / Anwohner vermuten Zusammenhang / Unterschriftenaktion, in: kreiszeitung.de vom 29.1.2014.

Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (EKN) (Hg.), Auswertung des EKN zur Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen in der Samtgemeinde Bothel, Oldenburg, September 2014.

Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (EKN) (Hg.), Kurzfassung des EKN Berichtes zur Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen in der Samtgemeinde Bothel, Oldenburg, September 2014.

Genuk (Hg.), Pressemitteilung zum Ergebnis der Krebsregisterabfrage
für die Samtgemeinde Bothel, Rotenburg/Wümme vom 11.9.2014.


jw/mk, Keine Wäsche mehr auf Z1. „ExxonMobil“ reagiert auf Quecksilber-Fund / Landesbergamt in Söhlingen, in: kreiszeitung.de vom 14.06.2014.

Krüger, Michael, Erhöhte Krebsraten im Erdgas-Abbaugebiet. Landkreis Rotenburg sucht nach Ursachen für auffällige Zahlen, in: kreiszeitung.de vom 12.09.2014.

Krüger, Michael, Woher kommt der Krebs? Bürgerversammlung zu erhöhten Krankheitszahlen in Bothel lässt Fragen offen, in: kreiszeitung.de vom 16.09.2014.

NN, Erhöhte Krebsrate in Erdgasregion. Gesundheitsministerium schließt
Zusammenhang nicht aus. Erhöhte Krebsrate in Erdgasregion, in: Weser-Kurier vom 16.9.2014.

NN, Leukämiefälle häufen sich in Erdgasfördergebiet. Bürger in Bothel erzwingen Studie, in: rtl.de vom 13.9.2014.

NN, Wittorfer Widerstand wächst. Aktionsgruppe engagiert sich gegen die Verpressung von Lagerstättenwasser, in: kreiszeitung.de vom 16.10.2013.

Teetz, KristianErhöhte Krebsrate durch Erdgasförderung?Experten untersuchen Zusammenhang, in: haz vom 11.9.2014.

Wieters, JensProtestmarsch zur Verpressanlage. Wittorfer Bürger für Umwelt und Gesundheit organisieren morgen Mittag eine Demonstration, in: kreiszeitung vom 9.11.2013

Wyputta, Andreas, Mehr Leukämieopfer in Bothel. Untersuchung zu Krebserkrankungen, in: taz vom 11.9.2014.